Ticketliteratur

Wir bedanken uns herzlich bei allen, die Texte eingereicht haben! Nachfolgend lässt sich die Ticketliteratur der Gewinner:innen 2025 genießen.

In Kooperation mit → literatur:vorarlberg

Simon Ludescher

Brombeerrevolte

Verwuchert, durchwuchert durch die Maschen der Zäune über Grenzen und Mauern wächst zusammen was fein parzelliert scheint, parifiziert, partiert

Wo die Trennung zelebriert wird gepflegt und gehegt wächst durch Tujenhecken ein Brombeerstrauch unbekümmert mit stachliger Sturheit drückt er sich durch die vorörtliche Unerwünschtheit und vollzieht in wilder Entschlossenheit die Revolte des Keingärtners

Simon Ludescher

Streben nach mehr

Strudeln im Zwang zum Wachstum

Hallt nach im Morgen

Anni Mathes

zemma gwachsa

wenn zwä schtarke bömm samt kroona voll trömm net a allna achsa mön zemmawachsa,

sind si net vrwundert nooch ma halba joorhundert, wäll si begriifan, dass vögl nu pfiifan, 

wenn iiszita flüüchan, im tau sich vrkrüüchan, vrlüürt halbhiinigs holz uf ämool da schtolz, 

vrgisst aalte schwächa, loot knoschpa uufbrächa, siat sich net satt, schriibt blättle für blatt 

a gschicht vom schpoothärbscht in früalig

Anna Schwendinger

Ich habe eine Pflanze, die begleitet mich bereits eine lange Zeit. Viele Ableger habe ich schon von ihr gemacht, ein paar Mal wäre sie mir auch fast verreckt. So ist das wohl mit den lebendigen Dingen – es ist nicht immer alles grün, sondern manchmal ist es auch braun; es ist nicht immer alles glänzend, sondern manchmal ist es auch schrumpelig; manchmal reckt sich nicht alles in den Himmel, sondern manchmal fällt es auch zu Boden. Und dort nährt es die Erde und kehrt zurück in den ewigen Kreislauf, aus dem etwas Neues, etwas Starkes, etwas Schönes entsteht; nur um wieder zu zerfallen und erneut zu wachsen. Dabei beobachte ich meine Pflanze und sie beobachtet dabei wiederum mich. Wir sind gar nicht so verschieden, meine Pflanze und ich.

Konstantina Hornek

wachs

g a a a a n z    l a n g s a   a   a       m

und dann feurig

die kerze hinab –

verschmilzt

zu fester formation.

Sven Beck

Verlier dich nicht in Träumen

vergangener Zeiten

Sattele die Tage 

lern gehen

Kokain, Wut & Bauchschmerzen

rosaroter Eyeliner

Netflix, Kippen

& Tee

Mit Fenster auf streiten

treibt Schafskälte aus

ich beiße nur, sonst

tu ich nichts

In blindes Vertrauen

lege ich dich

Und nur meine Beine als Kissen

Teresa Maria Metzinger

EINBLICK IN DIE

WELT DER NUDELN

Eine Erzählung vom Streiken

Maria verabscheute Nudeln, Nudeln mit Tomatensoße, alle Arten Nudeln. Hasste, wie sich Nudeln auf penetrante Weise denen aufdrängten, die sich nichts anderes leisten konnten. Nudeln, die den Kindern jeden Montag auch in der Schulmensa zum Fraß vorgesetzt wurden, Montag der Nudeltag, so wie Freitag der Desserttag war, wie sie schon den Neunjährigen einbläuten, dass alles eine Reihenfolge hatte, das Süße nur

nach fünf Tagen Plackerei eine Daseinsberechtigung haben durfte. Wie nur die Privilegierten Zucker fasteten, wie Maria über sie lachte. Sie spuckte den teigigen zerkauten Wulst aus Spaghetti Miracoli, der sich in ihrem Mund befand, auf die rotkarierte Tischdecke und dachte, disgusting.

Die rotkarierte Tischdecke lag da, um zu übertünchen, dass der hölzerne Tisch in der Küche Aschespuren hatte, Schrammen von Messern, weiße Farbreste auf ihm klebten. Sollte die kleine Mietwohnung aufmotzen, in der es unter der Spüle

schimmelte und deren Tür nicht verschließbar war. Der rötliche Nudelkloß breitete sich auf dem Baumwollstoff aus, die weißen Quadrate färbten sich orange, es klebten rote

Brocken darauf. Maria hielt inne und zündete sich eine Zigarette an. Normalerweise rauchte sie nicht in Innenräumen. Der Geruch, der sich penetrant in der Rauhfaser festsetze, und was sollte das Kind von ihr denken. Sie ließ es auch viel Trash

TV sehen. Wenn dazu eine rauchende Mutter kam, wäre sein Klassenaufstieg noch versperrter. Rauchen war wie Zucker, aber anders cool.

Die Miracoli waren Marias Frühstück, sie hatte in der Nacht gearbeitet, das Kind war allein zur Schule aufgebrochen, sie waren sich noch im Treppenhaus begegnet, Maria mit den Augenringen, das Kind leuchtete in Neonfarben, und Maria meinte, Spuren vom Wimperntusche in seinem Gesicht zu entdecken. Vielleicht hatte sie im Dreischichtbetrieb übersehen, dass das Kind inzwischen eher ein Teenager war.

Sonne ging über einem Weizenfeld auf, der Schriftzug TEIGGELB waberte aus dem Getreidemeer. Der Bildschirm von Marias Telefon verzerrte sich gelblich. Ihr Arbeitgeber war ein Teigwarenproduzent, einer mit einer ostdeutschen, und einer westdeutschen Dependance. Sie arbeitete am ostdeutschen Fließband. Was hieß: weniger Lohn für die

langen Eier Makkaroni, die Farfalle, die Spirelli. Produkte, die Maria in den Frühspätnachtschichten einen Wind von Italien ins Gesicht pusteten.

Maria hatte einmal mit ihrer eigenen Mutter eine Busfahrt nach Venedig unternommen, das war das einzige Mal gewesen, dass sie am Meer gewesen war. Eher am Brackwasser der Kanäle, aber das war ihr egal, Meer war Meer. Sie hatten

Tauben am Markusplatz gefüttert. Maria erinnerte die verwackelten Fotografien in dem blauen Ringalbum, das irgendwo noch bei den Eltern liegen musste. Darauf sie selbst

im gelben Anorak, darunter ein khakifarbenes Top mit weißem S.Oliver Schriftzug. Leichter Brustansatz, der erste, dazu eine Kappe. Die Mutter war in ihrem Gedächtnis auf keiner der Fotografien, hatte sie ausgelöst, und hatte Marias fast gleichaltrigem Bruder an der Promenade, von der die Busse abfuhren, ein gefälschtes Trikot von Inter Mailand gekauft. Maria hatte die Reste von Maiskörnern in ihrer Anoraktasche

gespürt, als sie wartete, während die Mutter bezahlte. Auf der Rückfahrt im Reisebus war die Reiseleitung wieder zugestiegen, eine junge braungebrannte Frau mit

dunkelbraunem hinten zusammengebundenen Haar. Ihre Mutter vermutete, die Reiseleiterin sei am Strand gewesen, während die Tagestouristinnen die Tauben vor dem Dom gemästet hatten. Die Mutter sagte es mit Anerkennung, oder

vielleicht auch Neid in der Stimme, weil sich da eine ein Beach Life gönnte, Zeit für ein Beach Life hatte. Marias Mutter gönnte sich Bustouren, nach denen man übernächtigt und nach einem Cappuccino an einer der austauschbaren Autobahnraststätten

morgens in norditalienische Städten angeschwemmt wurde, für einen Tag, der anders war als die unzähligen anderen in der Kleinstadt.

Nach den Miracoli hatte Maria geschlafen, einen tiefen traumlosen Schlaf, das Kind hatte sie am Nachmittag geweckt, sie hatten zusammen am rotkarierten Tisch zu Abend

gegessen, sich einen Eimer Stracciatella Joghurt geteilt. Dann war Maria aufgebrochen, die Nachtschicht begann um zweiundzwanzig Uhr. Sie zog sich in der Umkleidekabine der Fabrik TEIGGELB, die am Rande der Stadt in einer Autohausgegend lag, das Haarnetz auf und verstaute ihre Frisur. Den weißen Kittel trug sie schon. Sie blickte in den Spiegel, wusch sich sorgfältig Hände und Arme und desinfizierte sie. Ihr Unterleib quoll leicht über den Gummibund der weißen Hose.

Als das Kind noch in Marias Bauch war, hatten sich Tauben in

den Paletten auf dem Balkon zur Straße hin eingenistet. Fiete

und Maria benutzten den kleinen Balkon nicht, beim Kaffee

würden sie vom ersten Stock aus bloß den Feinstaub der Karl

Marx Straße inhalieren, hätten sich anbrüllen müssen, wenn

sie sich morgens überhaupt etwas zu sagen gehabt hätten, um

den Straßenverkehr zu übertönen.

Maria hatte die Tauben gewähren, die Vögel zwei Eier legen

lassen, und den Unterschlupf dann in einem Anfall von

Tobsucht und Angst vor Krankheitserregern zwei Monate

später im Mai abgerissen, den Vogelkot mit Wassereimern in

weißgrauen Schlieren auf den Gehsteig geschwemmt. Die

Vögel hatten sie irritiert angeblickt, hatten noch eine Zeitlang

zu viert auf der Fensterbank gewohnt und waren dann

umgezogen. 

Wie Tauben ihr Gelege mit Stöckchen schützen, das Ei mit in

der Stadt gefundenen Kaffeelöffeln oder Kabelbindern daran

hinderten, wegzurollen, beruhigte Maria damals auf eine

Weise. Auch ein Gelege, das von Kabelbindern

zusammengehalten wurde, war noch ein Nest, wie die Wand

im Zimmer ihres Kindes eine aus OSB Platten war, die Wände

unverputzt, und die Möbel von Ebay Kleinanzeigen.

Das Nest aus OSB - Platten und klemmender Haustür kostete

Maria monatlich siebenhundert Euro warm, und sie dachte an

Ulf, der interviewt von einem Team des regionalen

Fernsehsenders gesagt hatte: er ginge nicht arbeiten, weil die

Arbeit so schön wäre, sondern weil er ja leben müsste.

Leben müssen. Wie Maria den Hartweizengeruch kaum mehr

ertragen hatte an den Nachmittagen, an denen die anderen

Mütter aus der Kita nach dem Abholen in der Markthalle im

Stadtzentrum saßen, Weißwein kippten und Pastateller für

zwölf Euro orderten, während ihre Kinder sich am

herumstehenden Holzspielzeug vergnügten. Es hieß dann

Pasta, nicht Nudeln. Maria verdammte Pasta und Wein nicht

eigentlich, ihr Stundenlohn lag aber knapp unter dem

Pastaportionspreis, und ihr Fahrradweg mit dem Kind nach

Hause in die Vorstadt stand ihr jedes dieser Male noch bevor.

Sie konnte nur so viel Weißwein kippen, dass sie noch die

dreißig Minuten Weg mit Kind auf dem SItz an der

zweispurigen Ausfallstraße nach Hause packte, weil sie kein

Altbaunest in der Innenstadt bewohnten. Keines von denen mit

Stuck an der Decke und Dielenböden als Unterlage für die Eier.

Ulf hatte sie mit zum neu gegründeten Betriebsrat

genommen. Eine westdeutsche Firma hatte TEIGGELB nach

der Wende aufgekauft, die Schwesterfirma im Schwäbischen

kannte die Idee von Mitarbeitermitbestimmung nicht, hatte

dafür ein Nudelerlebniskonzept und eine gläserne Produktion.

Maria hätte keine Lust, sich bei ihrer Arbeit samstags auch

noch von glücklichen Kleinfamilien auf Wochenendausflügen

zuschauen zu lassen. Wer von seiner Arbeit nicht mehr leben

konnte, würde nicht mehr zur Arbeit kommen, da war sie

Ulfs Meinung. Sie hatten einen Tarifvertrag gefordert. Ulf war sehr

aufgeregt gewesen, er war jetzt sechsundfünfzig, er hatte

kaum noch Haare und hatte noch nie gestreikt. Das taten sie

dann, fünf Wochen lang, sodass die Lagerbestände bei

TEIGGELB sich leerten und in den Supermärkten der

Umgebung keine Spaghetti mehr zu finden waren. Die

Produktion war still gestanden. Manche von ihnen hatten zum

ersten Mal Transparente gemalt. NUDELN KOCHEN NICHT

VON ALLEIN/ FAIRE LÖHNE MÜSSEN SEIN, stand auf ihnen,

oder MIT VOLLER NUDELKRAFT ZUM TARIFVERTRAG.

Maria amüsierten die Sprüche, sie hatte sie auch auf dem

Marktplatz gebrüllt, die Tauben aufgescheucht, aber sie seufzte

angesichts der geforderten zwei Euro mehr in der Stunde. Zwei

Euro, das war eine Packung Vogelfutter auf dem Markusplatz.

Sie spuckte aus, knapp am Nudelwolf vorbei, und begann zu

murmeln NIE WIEDER NUDELN. NIE, NIE, NIE WIEDER

NUDELN. Wie sie Nudeln hasste, Weizen, immer nur Weizen, wie der Weizen schon selbstgefällig vor der Ernte in Reih und

Glied auf dem Feld stand, wie ein Huhn generös ein Ei

dazulegte, Ei auf Mehl, wie der Mehlhaufen im Werbespot von

TEIGGELB leuchtete wie ein verheißungsvoller Haufen Kokain,

wie Nudeln eine verdammt dialektische Sache waren.

Kohlenhydrate zwar, aber Banalität ohne Ballaststoffe, Pasta

aglio e olio nur für die, die nicht zu müde zum Einkaufen

waren, und das war Maria die meiste Zeit. Die letzten beiden

Kanister Olivenöl hatte sie an der Selfcheckout Kasse von

Netto gestohlen, oder Ulf hatte ihr einen Zehner

zugesteckt, er hatte keine Kinder, und meinte es gut.

Ulf hatte als Betriebsratsvorsitzender vier Wochen

Hausverbot bei TEIGGELB bekommen, warum wusste keiner

so genau, nach vier Wochen war er zurück gewesen. 

Die Belegschaft hatte zusammen einen Reisebus gechartert und

war losgefahren, losgefahren in die südwestdeutsche Provinz,

um bei der Schwesterfirma, am Firmensitz, auf ihre

Forderungen aufmerksam zu machen. Maria hatte Sekt

getrunken aus kleinen grünen Pikkoloflaschen, sie hatte ihren

Kopf auf Ellens Schulter gelegt, war während der Fahrt im Bus

kurz eingenickt. Ellen hatte sie vorsichtig geweckt, als noch auf

der Strecke die Information zu ihnen gelangte, TEIGGELB sei

auf ihre Forderungen eingegangen, weil TEIGGELB verhindern

wollte, dass ein Haufen ostdeutscher Irrer auf dem

Nudelerlebnishof Parolen brüllte. Zur gläsernen Produktion passte kein sichtbarer Streik, ein Ausflügler soll von Protestierenden verschont bleiben.

Maria und die Belegschaft steuerten mit dem Bus eine

Jugendherberge an und feierten euphorisch ihren Gewinn.

Maria trank noch mehr Sekt und teilte sich mit Ellen die untere

Matratze eines Doppelstockbetts, so wie sie sich die Zigaretten in ihren Pausen während der Schichten teilten. Im Winter

waren das die einzigen Momente mit Tageslicht, die einzige

Gelegenheit, dem Neonlicht der Fabrikhalle für zwei oder drei

Züge zu entkommen.

Am Morgen waren alle verkatert aufgewacht, auf der Rückfahrt

waren sie stiller gewesen, verhaltener. Ulf klebte an der

Fensterscheibe und schlief, die Brille hing ihm leicht schräg auf

der Nase, sein Mund stand leicht offen. Zuhause standen die

leeren TEIGGELB Kartons, die bald wieder voll werden

würden. Jetzt würde Maria etwas mehr Geld haben, an diesem

verdammten Nudelwolf würde sie morgen aber immer noch

stehen, ihr Kind ließ sich auch nicht so mirnichtsdirnichts

outsourcen, das waren ja Gegebenheiten.

Das Kind wünschte sich, dass sie ein Auto hätten. Marias Kind

meinte, es sei cool, mit dem Auto in die Schule gebracht zu

werden. Limousinenhaft vorgefahren werden. Maria rechnete.

Wahrscheinlich hätten sie sich einen kleinen Fiat leisten

können, aber Maria waren auch Autos zuwider. Sie genoss die

Tramfahrt ins Industriegebiet, es waren zweimal fünfzehn

Minuten am Tag, in denen niemand etwas von ihr wollte. Im

Winter beschlugen die Scheiben neben den Fahrgästen in

ihren Wintermänteln, im Sommer saß Maria zwischen bunten

Tops und Sandalen in der Schwüle, Schweißperlen auf ihrer

Oberlippe und der Stirn, die Maria dann mit dem Handrücken

wegwischte. Das Fabrikgebäude von innen war weiß, kühl und aus

Edelstahl. Ein Ort nicht für Menschen, eintönig waren die

gekachelten hellen Flure den Augen. Hatte Maria Frühschicht,

begannen ihre Tage an der Eieraufschlagmaschine. Die roten

Paletten mit abertausenden Eiern zur Maschine schieben,

dann die Paletten auf ein Transportband stellen. Dann übernahm die Maschine: Ein Vakuumsauger holt sich die Eier

und befördert sie zum Mühlrad. Kein Mühlrad, eher ein

Eierkarussell, das Herzstück der Anlage, so steht es auf der

TEIGGELB Homepage.

Maria mochte das Eierschreddern, vierundfünfzigtausend Eier

in der Stunde schaffte der Automat. Die Arbeit war an einem

Vormittag getan. Die kleinen Messer, die sich in die

Eierschalen gruben schnell und geschützt hinter Stahl. Maria

konnte sich nur vorstellen, was in der Maschine innen

geschah. Sie kannte das Mühlrad, seine Rillen und Klingen, vor

allem vom Putzen seiner Innereien danach. Die Maschinenteile

bedeckt mit weißem Reinigungsschaum aus einer Spritzpistole,

und Eierschalen, Massen leerer Eierschalen - das war es, was

Maria in den Frühschichten vor allem zu Gesicht bekam. Der

Schaum hatte die Konsistenz aus dem Feuerlöscher und griff

auch unter den hellblauen Handschuhen, die sie alle trugen,

die Hautoberflächen an.

Beim Putzen versuchte Maria nachzudenken, die

Edelstahlflächen waren endlos. Während das Metall

anfing zu glänzen, wurde Marias Kopf an diesen Vormittagen

immer stumpfer. Maria hatte den Job bei TEIGGELB wegen

ihrer Bereitschaft zur Schichtarbeit bekommen, nach ihrer

Qualifikation hatte sie keiner gefragt. In der Anzeige wurde mit

einem Kollegenteam mit einer Leidenschaft für feine

Nudelspezialitäten geworben. 

Ellen war zehn Jahre älter, und

hatte Maria eingearbeitet. Desinfektion, Abklatschtest,

Arbeitsschutz. Ellen hatte eine Leidenschaft für Yoga und für

Zigaretten, von Nudeln hielt sie auch nicht mehr als Maria, sie

kaufte im Fabrikshop, was sie Zuhause verbrauchte.

Ellen war ein Mensch unter den Kollegen, die sonst wie weiße

Gespenster in Schutzkleidung an den Maschinen entlang Rollbehälter schoben oder mit Elektrohubwagen hantierten und

ihr manchmal im Vorbeigehen missmutig zunickten. Ellen

hingegen testete die Qualität der Eiermasse in den Wannen,

als ob sie eine Schwangerschaft feststellen wollte. Das

Teststäbchen war rot und hatte einen Deckel, ähnlich eines

Aufbewahrungsbehälters für Kontaktlinsen. Schwanger war

niemand. Fiete hatte Maria gesagt, sie bekäme im Alltag

deutlich mehr gebacken als er, das würde er zugeben,

Unterhalt für das Kind hatte Fiete Maria trotzdem, oder

deswegen, nie gezahlt.

In den Pausen auf dem Hof hatte Maria die Mitarbeiter aus den

hohen Silos kennengelernt. Auch die trugen die hellblauen

Handschuhe aus Kunststoff. Bei der Anlieferung von neuem

Getreide kam Leben auf das Gelände, Lastwagen und laute

Stimmen über dem dunklen Asphalt, darauf verteilt die

Raucherinseln, gläserne Häuschen zum darunter Stehen.

Dann wieder Kühle und Dunkelheit, das Leuchten der

Touchpads, wenn Maria Ulf an seinem Arbeitsplatz im Silo

besuchte. Körperlich müde machte die Arbeit nicht immer, nur müde im

Hirn. Fühlte sich an wie eine Dauerschleife aus Eiern und

weißem Schaum hinterher, bis am Ende alles silbern

funkelte. 

Die Spiegel Zuhause ließ Maria fettig, ließ die

Mascaraflecken und Zahnpastaspritzern an den Rändern kleben. 

Sie mochte das Layout der Streikbroschüren nicht. Für Ulf hatte sie die Hefte mit in

die Frauenumkleiden genommen und verteilt, Broschüren mit

Überschriften wie “STREIKEN IST UNSER GUTES RECHT”.

In violettem Lila war das Papier gehalten, wie die Flyer, die in

Arztpraxen lagen, nur dass statt Medikamenten Sabotage

nahegelegt wurde, und das absichtliche Verlängern der

Mittagspausen. Im Pausenverlängern war Maria gut, die Broschüre war

trotzdem grafisch misslungen, sie hatte nicht geglaubt, dass

viele ihrer Kolleginnen etwas in die Hand nehmen würden, das

nach Jugendzentrum und Punkkonzert aussah. Gestreikt

hatten sie trotzdem, weil Ellen oft schwindelig war durch die

Zusatzschichten, und weil alle mehr Geld brauchten. Sie hatten

die Mittagspausen bei den Silos für erste Proteste genutzt.

Ulf hatte Maria vorgelesen, neben der Bluetoothbox, wo die

anderen tanzten, erst verlegen, dann euphorischer neben dem

Verdi - Pavillon. Hatte ein abgegriffenes Buch aufgeschlagen

und vorgelesen: 

Trotz meiner Ängste bin ich glücklich, dem Betrieb

dankbar wie eine endlich untergeschlüpfte Erwerbslose. 

Maria hatte gut zuhören müssen, weil nebenher Schlager liefen, dann

Rapmusik und war sich nicht sicher. Dankbar war sie nicht in

dem Sinne. Maria wollte ihrem Kind die Streifzüge durch die

Mall finanzieren können, die Mall an der S - Bahnstation,

manchmal dort einen Bubbletea Pfirsich Apfel, den das Kind oft

hinter dem Fotoautomaten wegschüttete, es ging nämlich nur

um den Drink in der Hand, den Look, wie das aussah, so zu

schlendern mit einem Getränk, und wäre es auch noch so

ungenießbar.

Dankbar nicht, aber untergeschlüpft war Maria bei TEIGGELB,

untergeschlüpft in einem Teigwarenbetrieb, bei Ellen, bei

Ulf, aber wie sah dieses Unterschlüpfen anderer Leute in

Arbeit aus, überlegte Maria. Bei der Pediküre in einem

vietnamesischen Nagelstudio verglich sie den Hornhauthobel

der Angestellten an ihrer Ferse mit einer der Teigpressen, mit

den Messern, die die Nudeln einzeln abtrennten, ihrem

eigenen Werkzeug, das sie per Knopf bediente. Auf Ellens

Bildschirm hatte Maria einmal im Onlinestream einen jungen

Mann gesehen, der in einem Raum ohne Fenster unter einer

grellen Neonlichtröhre auf einem braunen Teppich Yoga unterrichtete und in die schwarzen Screens der

Teilnehmerinnen starren musste, und von diesen zurück

betrachtet wurde. Von draußen war da in seinem Raum durch

den Computerlautsprecher Verkehrslärm zu hören.

Wie eine Freundin von Maria aus der Innenstadt, die beim

Fernsehen arbeitete, ihr erzählte, dass sie eine Vorabend -

Gefängnisserie in einem echten Gefängnis gedreht hatten. Die

Insassen waren während der Dreharbeiten im Gefängnishof

spazieren gegangen. Wie Maria bemerkte, dass im Imagefilm

der Nudelfabrik selten ein Mensch vorkam, nur die silbernen

Maschinenungetüme, und Massen an Nudelteig, dazu

manchmal ein anonymes Gespenst.

An einem Sommerferientag waren Maria und das Kind

draußen, Urlaub hieß Wellenbad. Das Wellenbad war 

heruntergekommen und befand sich am Rand der Stadt, an der

Ausfallstraße. Es war zu Fuß oder mit dem Rad

erreichbar, Maria und das Kind gehörten dorthin, seit das Kind

klein war. Schwimmen gelernt hatte es in einem Winter in

einem Schwimmhallenprovisorium, etwas das ein mit Wasser

gefüllter Überseecontainer mit Fenstern war, und in dem man

dreizehn Meter lange Bahnen ziehen konnte, dann aber

umkehren musste. 

Die Umkleide des Wellenbades hatte eine hohe Decke aus

Holz, darunter viel Luft und in den hellgelben Mauern für den

Sichtschutz waren gegen die Vögel, die hineinfliegen könnten,

dicht nebeneinander kleine Metallstäbe, lange Nägel mit der

Spitze nach oben, betoniert. Am Beckenrand lagen

Eisverpackungen und ein abgefallenes Pflaster auf den

Steinen unter einer Bank. Die Wellenmaschine wurde zu jeder

vollen Stunde gestartet. Maria und das Kind fassten sich an den Händen, im Wasser war das nicht sichtbar, also nicht

peinlich. Bewegten sich auf und ab wie in einem weniger

schweren Ballett. Unter Wasser war Maria leichter. Auf den

Handtüchern ausgestreckt in der Sonne, war Maria im Kopf beim Teig. Sie würde ihn in der Nacht ab zweiundzwanzig Uhr

bei der Trocknung begleiten. Eine riesige flache

Teigplatte würde sich wie ein Strandlaken über die Walzen

schwingen, vortrocknen und dann mit einem anderen Apparat

in Stücke geschnitten werden. Maria würde alles mit Abstand

beobachten, steuern, schließlich verpacken. Sie würde sich

nach um Ellen kümmern.

Im Wellenbad zieht eine Regenfront auf. Maria und das Kind

suchen einen trockenen Platz unter dem Vordach des

Freibadbistros. Auf den Unterarmen des Kindes ist Gänsehaut,

sein Nacken ragt gebräunt aus dem weißen T-Shirt. Die

nassen Haare haben beide nach hinten zusammengebunden.

Sie sitzen. Sehen manchmal ins Grau. Maria bestellt

Datsch für sie beide, Schrippe mit Schaumkuss innen

zerdrückt, Eierschaum also, und Aperol, wegen diesem Italien.

Maria friert, und bindet ihr Handtuch enger.

Der hier vorliegende Textauszug nimmt Bezug auf einen tatsächlichen Streik bei der Firma Teigwaren Riesa im Jahr 2022.

Robin Sarah Ströhle

die zwei Muttermale auf deinem linken Handrücken haben sich auseinandergelebt. 

über die Jahre.

im Laufe der Zeit.

sie waren mal näher beieinander.

bis sich Haut dazwischengeschoben hat.

der Abstand wurde größer. 

die Vermissung weniger.

ihr teilt euch einen Körper und seid euch fremd geworden.

aber vielleicht sind die Differenzen doch nicht so unüberbrückbar. 

vielleicht findet ihr wieder zueinander.

vielleicht seid ihr alle gar nicht so lost wie ihr denkt.

Johanna Hansen

zusammen

im hof hängt ein kranichgeschrei mit hypnotischer wirkung zwischen den weidenkätzchen. die ich mir ins haus 

hole und in eine vase neben meine 

lektüre stelle. obwohl ein wenig blütenstaub 

auf die zeitungsseiten rieselt. hellt sich meine unruhe nicht auf. immer öfter gibt es gründe. 

sich niedergedrückt zu fühlen von dem. 

was gerade passiert. es ist zuviel mordlust 

in der welt. die kriegsfurcht. in der ich aufwuchs. bricht wieder auf. 

mach dir nichts vor. sagt ein freund. der zufällig vorbeikommt und mir seine leeren hände leiht. 

wir können nur zusammen aufhören. uns blenden zu lassen vom gleichschritt falscher 

wahrheiten. zusammen ist      

nie wieder ist jetzt

Sandra Bauer-Wagner

ein aneinander Vorbeiatmen. ein Hintereinanderherhetzen. und verweilt. sich fragen: wie viele Stunden hat ein Leben. wachse ich an Tagen, die durch Finger rinnen. wachse hinein in ein Zusammen. ist es ein Herauswachsen aus dir. bis du dir selbst entwachsen bist. aus dir selbst herausgeschält. wirst mit der Zeit gewachsen sein müssen. dich fragen: wie viel Leben steckt in einer Stunde. ein guter Grund, hinauszuwachsen. über dich.

Disclaimer: Die Formatierung beschränkt sich bewusst auf Sonderzeichen und Zeilenumbrüche, um Einheitlichkeit und gute Lesbarkeit zu gewährleisten.

Einreichungen abgeschlossen! Danke!